DDr. Christoph Thun-Hohenstein, Direktor des MAK Wien, im Gespräch über die Rollen der angewandten Künste und des Museums in der Zukunft.

 

DDr. Christoph Thun-Hohenstein leitet seit September 2011 das renommierte MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst in Wien (MAK).

Nachdem er die Universität mit Abschlüssen in den Fächern Rechtswissenschaften, Politikwissenschaften und Kunstgeschichte verlassen hat, stand er für mehrere Jahre im Dienst des österreichischen Außenministeriums. Die Brücke zur Kultur schlug er, als er ab 1999 für acht Jahre das Österreichische Kulturforum in New York leitete. Zurück in Wien stand er dann bis zu seiner Berufung als Direktor des MAK an der Spitze von departure, Kreativzentrum der Wirtschaftsagentur Wien.

 

Mit welchem Selbstverständnis wendet sich das MAK an die Öffentlichkeit?

Als Mehr-Sparten-Museum sind wir im MAK in einer besonderen Situation, da wir alle angewandten künstlerischen Bereiche abdecken. Dazu zählen neben angewandter Kunst, Design und Architektur noch weitere Disziplinen wie Mode, die wir natürlich nicht immer in derselben Intensität behandeln können. In den letzten Jahrzehnten spielte im MAK auch die bildende Kunst eine große Rolle. Auf dieser Basis ist das MAK wie kein zweites Museum in der Lage, interdisziplinär zu arbeiten und spartenübergreifende Projekte zu realisieren. Gleichzeitig verfügen wir über eine herausragende Sammlung, die speziell im Bereich der angewandten Kunst als eine der weltweit besten gilt. In diesem Zusammenhang sieht sich das Museum seit seiner Gründung verpflichtet, aus der Perspektive der angewandten Künste einen Beitrag zu wesentlichen Fragestellungen und auch Problemen der Gegenwart zu leisten. Wir beleuchten auf Basis unserer Sammlung herausragende Kreativleistungen der Vergangenheit im Hinblick auf ihre Relevanz für die Gegenwart und die Zukunft. Mit der Vienna Biennale hat das MAK in diesem Kontext erstmals Institutionen und Sparten übergreifende Projekte initiiert.

 

© Gerald Zugmann/MAK

 

Vor ziemlich genau zwei Jahren feierte das MAK mit der Ausstellung „Vorbilder“ unter dem Motto „Vom Kunstgewerbe zum Design“ sein 150-jähriges Bestehen. In welcher Beziehung stehen die Begriffe Kunst und Design, und wie hat sich das Verhältnis der Begriffe über die Zeit bis heute entwickelt?

Die Definitionen der Begriffe sind fließend. Das MAK arbeitet mit einem sehr breiten Designbegriff, unter dem sich auch teilweise das, was früher als Kunstgewerbe bezeichnet wurde, subsumieren lässt. Die klare Trennung der Begrifflichkeiten ist in unseren Augen nicht mehr zeitgemäß. Es geht vielmehr darum, auszuloten, welche Potenziale ein Zusammenspiel der Kreativsparten entfalten kann. Zudem leben wir in einer großen Remix-Kultur, in der das MAK als Ort des Gemeinwohls seine Sammlung für eine breite Öffentlichkeit zugänglich macht und so aufbereitet, dass BesucherInnen aller Altersgruppen einen Mehrwert für das eigene Leben und den eigenen Alltag generieren können.

 

Zum Jubiläum wurde auch das MAK Design Labor eröffnet. Welche Gedanken stehen hinter dem Design Labor?

Das MAK DESIGN LABOR rückt die weltberühmte MAK-Sammlung stärker in Lebensnähe und definiert Design als zentrale Kraft für die Verbesserung der Lebensqualität sowie zur Lösung wichtiger Zukunftsfragen. Gleichzeitig verdeutlicht der Laborcharakter dieser neuen Schauräume die über Jahrhunderte hinweg gültige Innovations- und Inspirationskraft vieler Sammlungsobjekte und macht kunsthistorische und interdisziplinäre Bezüge erlebbar. Als Museum mit einer gewissen Alltagsnähe befindet man sich in einer dankbaren und undankbaren Rolle zugleich. Dankbar, weil in vielen Fällen eben der Zugang leichter fällt, aber auch undankbar, weil viele Menschen im Museum eine Opulenz erwarten, die in der angewandten Kunst nur eingeschränkt ein Thema ist.

 

MAK DESIGN LABOR, 2014. Themeninsel Kochen, im Vordergrund: Jerszy Seymour, Installation First Supper, 2008. © Peter Kainz/MAK

 

Inwiefern hängen dennoch in der angewandten Kunst die Begriffe Moderne und Innovation zusammen?

Das ist eine sehr umfassende Frage. Wir müssten dazu zunächst die Begriffe der angewandten Kunst und der Moderne definieren. All diese Begriffe werden heute anders verstanden als früher. Wenn man früher von der Moderne gesprochen hat, dann bezog man sich damit meist auf eine strenge, orthodoxe Moderne. Mittlerweile wird der Begriff viel breiter verstanden. Ich bin überzeugt, dass wir uns inmitten einer neuen, Digitalen Moderne befinden. Diese Digitale Moderne erfordert es, sich in fundamentaler Weise mit Umwälzungen auseinanderzusetzen, die unsere ganze Zivilisation betreffen. Wir beschäftigen uns im MAK intensiv mit wichtigen Proponenten der Wiener Moderne und wie sie mit vergleichbaren Entwicklungen, die alle bisherigen Paradigmen in Frage gestellt haben, umgegangen sind. Josef Hoffmann hat sich durchaus als angewandter Künstler verstanden. Adolf Loos dagegen hätte diesen Begriff sicherlich nie verwendet. Ich glaube, dass auch diese wesentlichen Proponenten der jüngeren Kunstgeschichte mit Kreativität auf qualitativ höchster Ebene zu einer Weiterentwicklung der Moderne beitragen wollten

Einst erklärte Otto Wagner die Vorherrschaft des Historizismus für beendet, als er von einer notwendigen Anpassung des Stils an den technischen Fortschritt sprach. Was sind momentan die wesentlichen Katalysatoren der Weiterentwicklung in der angewandten Kunst?

Die Hauptfrage in diesem Zusammenhang ist meiner Meinung nach, wie relevant die Künste in Bezug auf das aktuelle Geschehen sein wollen. Im vergangenen Jahr war das vor allem auf der Vienna Biennale sichtbar. Aber nicht nur auf dieser Veranstaltung, hinter der ja das MAK eine treibende Kraft war, setzt man sich mittlerweile mit aktuellen Entwicklungen auseinander. Zuletzt gab es auch in der Kunsthalle Wien Ausstellungen zu Themen wie etwa Automatisierung oder künstliche Intelligenz, die teilweise als bedrohlich eingeschätzt werden. So gründen mittlerweile sogar Leute wie Elon Musk eigene Institutionen, die sich mit der Ethik künstlicher Intelligenz auseinandersetzen. Man muss sich weiter und vor allem intensiver mit diesen Dingen beschäftigen, insbesondere in den Disziplinen der angewandten Kunst. Mit anderen Worten: Business as usual ist nicht mehr möglich, weil die Herausforderungen so fundamental sind. Das Problem dabei ist, dass wir den Fortschritt schrittweise in vielen kleinen Verbesserungen erleben und somit nicht unmittelbar als solchen wahrnehmen. Gerade deswegen braucht es Institutionen, die ein Gesamtbild liefern. Fragen wie die Auswirkungen der Automatisierung auf Arbeitsplätze müssen auch aus einer kreativen Perspektive heraus diskutiert werden. Darin sehe ich eine wichtige Aufgabe für das Museum. Das schließt natürlich nicht aus, dass man sich auch anderen Aspekten widmet, dennoch kann sich heute niemand mehr erlauben, komplett an den aktuellen Themen vorbeizusteuern.

 

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Aspekte der Digitalisierung sind das Immaterielle, die einfache Reproduzierbarkeit oder auch die Kurzlebigkeit. Ist das Museum als Institution damit noch zeitgemäß?

Ich empfinde das Museum als eine sehr zeitgemäße Institution. Einerseits wird es vor den schon besprochenen Hintergründen in den nächsten Jahren stark darum gehen, was wir uns an Menschlichkeit erhalten wollen. Und Kunst gehört nun einmal zu unserer DNA. Zugespitzt formuliert heißt das, wenn wir nicht zu Maschinenwesen werden wollen, dann sollten wir uns diesen wesentlichen Gesichtspunkt des Menschseins erhalten. Dies geschieht vor allem durch die Präsentation und Diskussion von Kunstgegenständen. Die digitalen Kanäle stellen heute ein unglaubliches Inspirationspotential dar. Das gilt aber genauso für das Museum. An uns liegt es, das durch entsprechende Projekte aufzuzeigen. Ich sehe das Museum als jenen Ort, an dem das Gesamtbild unserer Digitalen Moderne abgehandelt wird. Und zugegebenermaßen tut sich hier ein Museum für angewandte Kunst leichter als etwa ein kunsthistorisches Museum.

 

Wie wirkt sich konkret die Digitalisierung auf Design und Kunst aus?

Einerseits werden die Kunst-, Kultur- und Designschaffenden selbst maßgeblich von der Digitalisierung beeinflusst, da sich etwa durch die Automatisierung viele Prozesse und Geschäftsmodelle ändern. In anderen Ländern wie China ist die Digitalisierung schon viel weiter fortgeschritten, aber auch wir müssen uns auf gewaltige Änderungen einstellen. Es geht darum, das künstlerische Schaffen zu erhalten und sicherzustellen, dass nicht alles wegdigitalisiert wird. Gleichzeitig muss auch die Wertschätzung für Kunst und Kultur aufrechterhalten werden.

 

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Als Leiter des Österreichischen Kulturforums verbrachten sie einige Jahre in New York. Wie schätzen Sie den Designstandort Wien im internationalen Vergleich ein?

Die Antwort ist deshalb sehr schwierig, weil sich gerade in den letzten zehn Jahren das Verständnis von Design und Architektur komplett verändert hat. Es geht nun in erster Linie darum, wie wir uns weiterentwickeln wollen. Das MAK ist eines der weltweit führenden Museen, die ein radikal neues Verständnis vorantreiben. Das impliziert keine Geringschätzung des früheren Verständnisses, gehorcht aber der Notwendigkeit, auf der Höhe der Zeit zu sein – oder vielleicht sogar der Zeit ein wenig voraus. Vor 15 Jahren hätte ich gesagt, dass Wien ein nicht so sichtbarer Designstandort ist. Momentan ist jedoch die gesamte Disziplin stark im Wandel, und Wien auf jeden Fall ein Ort, an dem zunehmend sichtbare, relevante Diskurse geführt werden. Und das ist schon sehr viel.

 

Was haben Sie in der kommenden Zeit im MAK vor?

Ich wurde für fünf Jahre als Direktor des MAK wiederbestellt, und während der kommenden Jahre finden auch drei Ausgaben der Vienna Biennale statt. Mein Ziel ist es, den Mehrwert einer solchen Biennale auch breit verständlich zu machen. Es ist mir außerdem ein wesentliches Anliegen, die herausragende MAK-Sammlung neu erlebbar zu machen und hier neue, digitale Technologien zu nutzen. Stichwort ist hier etwa Mixed Reality als ein weiterer Schritt in Richtung einer Virtual Reality. In einigen Jahren wird es möglich sein, eine anspruchsvolle virtuelle Realität mit der Wirklichkeit zu verbinden. Für Museen ergeben sich daraus völlig neue Möglichkeiten. Besonders wichtig ist aus meiner Sicht die Frage, wie wir für die Digital Natives, die mittlerweile nicht mehr nur eine Generation sind, ein relevanter Ort bleiben.

 

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Welche Ausstellung im MAK war bislang Ihre Lieblingsausstellung, beziehungsweise ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Für mich war die Ausstellung „Wege der Moderne. Josef Hoffmann, Adolf Loos und die Folgen“ auch deshalb eine besonders wichtige Ausstellung, weil sie unsere intensive Aufarbeitung der Wiener Moderne aus heutiger Sicht eingeleitet hat. Aber es gibt auch unzählige andere Projekte, die mich fasziniert haben.

 

Vielen Dank für das Gespräch!
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